Stopp mal! Wie funktioniert eigentlich die Abhebeerkennung?

Bei harten Bremsmanövern kann es passieren, dass der Fahrer nicht mit einem Blockieren und Rutschen des Vorderrads, sondern mit dem Ansteigen des Hinterrads rechnen muss. Ein nicht ganz unproblematisches Phänomen, das man in Fachkreisen Brems-Stoppie nennt.

Hat das Hinterrad keinen Bodenkontakt mehr, wird das Motorrad instabil, was für den Fahrenden schnell zu Verunsicherung führen kann. Im Extremfall kann ein abhebendes Hinterrad zu einem Überschlag führen.

Weil ein Abheben des Hinterrads auch bei mit ABS ausgerüsteten Motorrädern nicht völlig auszuschließen ist, werden immer mehr Modelle mit einer Abhebeerkennung ausgestattet. Ein Assistenzsystem, das ein abhebendes Heck weitestgehend unterbinden kann.

Eine relativ einfache, aber eher grob funktionierende Lösung, um ein Abheben des Hinterrads zu erkennen und zu verhindern, besteht in der Nutzung der ABS-Radsensoren für einen Abgleich der Raddrehzahlen. Sobald der zwischen vorne und hinten gemessene Drehzahlunterschied einen kritischen Wert überschreitet, reduziert das System die Bremskraft am Vorderrad.

Diese Art der Abhebeerkennung wird verbessert, wenn neben den Raddrehzahlen auch der Bremsdruck in verschiedenen Kreisen des Bremssystems gemessen wird. Eine zusätzliche Messung der Federwege vorne und hinten stellt eine weitere Ergänzung und Verbesserung dar.

Die fortschrittlichste und leistungsfähigste Form der Abhebeerkennung nutzt die Fähigkeiten der elektronischen Inertial-Messeinheit IMU. Deren Beschleunigungs- und Drehbeschleunigungssensoren ermöglichen die Lageerkennung des Motorrads (zum Mittelpunkt der Erde). Ein steigendes Heck wird hier anhand der Lageveränderung des Motorrads um die Querachse erkannt und mit dem Einleiten von Gegenmaßnahmen „beantwortet“.

Fazit:
ABS bzw. Kurven-ABS bilden nach wie vor die entscheidende Basis für maximale Verzögerungsleistungen entlang der jeweiligen Haftgrenze der Reifen. Die Abhebeerkennung ist quasi das Sahnehäubchen für größtmögliche Stabilität und Kontrolle beim Bremsen. Beide Systeme kombiniert ermöglichen im Zusammenspiel mit der IMU eine besonders feinfühlige Regelung der Bremsvorgänge nahe am Optimum maximaler Verzögerung, ohne dass das Motorrad instabil wird, wegrutscht oder hinten ansteigt bzw. je nach gewählter Eingriffstufe bei Geradeausfahrt über das gewünschte Maß hinaus abhebt.
Es ist zu beachten, dass sich die verbauten Systeme von Motorrad zu Motorrad unterscheiden können. Daraus folgt, dass man sich unbedingt mit dem jeweils vorhandenen System vertraut machen sollte, um den Zugewinn an Sicherheit, den diese Innovation bietet, auch auszuschöpfen. Die wichtigsten Informationen über den Funktionsumfang, die Arbeitsweise und die richtige Anwendung liefert die Fahrzeugbetriebsanleitung.

Übrigens, schon das nur geringe Abheben des Hinterrads bedeutet Kontaktverlust und kann in Abhängigkeit zu den unten aufgeführten Faktoren zu Kontrollverlusten führen.

Physikalischer Hintergrund:
Bei starkem Bremsen/Verzögern verändert sich die Verteilung der Radlast (Vorder- und Hinterrad). Mit zunehmender Verzögerung verlagert sie sich größtenteils und zunehmend auf das Vorderrad – das Gewicht „wandert“ quasi nach vorn (Dynamische Radlastverlagerung), wodurch sich der Anpressdruck des Vorderreifens deutlich erhöht (was gut für die Bremskraftübertragung ist). Unterstützt wird die Verschiebung auch durch eine (tief) eintauchende Vorderradgabel. Das Hinterrad ist dementsprechend entlastet und kann aufsteigen. Begünstig wird dies bergab, wenn zusätzlich die Hangabtriebskraft gegen die Bremskraft wirkt.
Einige bauartbedingte Faktoren wie Radstand und Fahrzeugschwerpunkt können die Tendenz zum bremsbedingten Abheben verstärken. In Frage kommen hier ein vergleichsweise hoch und/oder weit vorne liegender Schwerpunkt sowie ein kurzer Radstand. Auch ein steiler Lenkkopfwinkel und ein kurzer Nachlauf erhöhen die Stoppieneigung.