Das Ausrutschen auf der Bananenschale – ein Klassiker! Nicht nur Charlie Chaplin hat dieses Phänomen berühmt gemacht. Nur ein Klischee? Japanische Forscher haben exakt vermessen, wie rutschig die Schale der sonnengebogenen Frucht ist. Ergebnis: Ihr Reibbeiwert ist extrem niedrig. Wer drauf tritt, kann von jetzt auf gleich den Halt verlieren und erlebt damit in etwa das, was man bei Fahrzeugen einen Reibwertsprung nennt.

Zurück zum Motorradfahren, wo das Thema schlagartig wechselnder Reibbeiwerte ebenfalls eine unliebsame Rolle spielt: Gerade war man noch auf ‚ultraklebrigem Sahneasphalt‘ unterwegs, da gerät man im nächsten Abschnitt unvermittelt auf eine stark abgefahrene und daher glatte Teerdecke oder auf Rollsplitt, ein Wasserrinnsal, eine Pfütze, Sand und andere Verschmutzungen. Von Bitumen wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Auch Straßenbahnschienen, Kanaldeckel etc. bringen den Fahrer vor allem in Kurven ganz schnell ins Schwitzen. Stressauslöser ist die Tatsache, dass sich in all diesen Fällen die Haftung des Reifens auf der Fahrbahn plötzlich und zuweilen recht drastisch verschlechtert. Die Fachwelt sprich hier vom sogenannten Reibwertsprung („µ-Spot”). Routinierte Fahrer haben hier den Blick weit voraus und „lesen die Straße“ regelrecht, um sich rechtzeitig auf unterschiedliche Untergründe einzustellen und Überraschungen zu vermeiden. Ausreichende Handlungsreserven schaden dabei nicht.

Brenzlig werden Reibwertsprünge auch beim Bremsen. An dieser Stelle hat das ABS seinen ganz großen Auftritt. Während der menschlichen Wahrnehmung von plötzlich wechselnden Fahrbahnbeschaffenheiten Grenzen gesetzt sind, registrieren die Sensoren des Systems in Sekundenbruchteilen anhand der Veränderung der Raddrehzahl die plötzlich nachlassende Haftung, was die Bremskraftregler umgehend dazu veranlasst, den Bremsdruck so weit zurückzunehmen, dass ein Blockieren der Räder verhindert wird.

Ein routinierter Fahrer mag durch Können und Erfahrung zwar noch in der Lage sein, auf einem Belag mit durchgängiger, nicht schwankender Griffigkeit ABS-adäquate Verzögerungen zu erreichen. Die im Falle eines oftmals nicht oder kaum erkennbaren Reibwertsprungs erforderliche blitzschnelle und passgenaue Anpassungsleistung kann aber selbst der versierteste Motorradfahrer, der auf einem Motorrad mit konventioneller Bremsanlage unterwegs ist, nicht erbringen.
 
Übrigens: Das Vertrauen in die Fähigkeiten des ABS muss man erst gewinnen und sich regelrecht erarbeiten, zu tief sitzt beim starken Bremsen bis zur Haftgrenze die Furcht vor dem Wegrutschen. Unter anderem, weil wir das beim Einspurfahrzeug quasi von klein auf beim Fahrradfahren so kennen. Dies gilt besonders bei Nässe und noch stärker für Not- oder Gefahrenbremsungen bei wechselndem Fahrbahnbelag.

Erst Können macht sicher. Lernen Sie das Bremsen „auf der Bananenschale“ von denen, die genau wissen, wie es geht. Am besten bei einem der zahlreichen Motorradtrainings, die deutschlandweit angeboten werden. Also los, wechseln Sie von „ich werde mal“ zu „ich mache das jetzt“.

 

 

 

Hintergrund:

Für die Haftung eines Motorrads auf der Fahrbahn, genauer gesagt für die Reibung zwischen Reifen und Straße ist eine Reihe von Einflussgrößen verantwortlich: Neben der Gummimischung des Reifens, der Temperatur und der Gewichtskraft des Fahrzeugs ist auch die Griffigkeit des Straßenbelags entscheidend, die einerseits vom verwendeten Oberflächenmaterial, andererseits von „Verunreinigungen“ durch Zwischenmedien wie z.B. Staub, Schmutz und Wasser abhängt.
Die Messzahl zur Bestimmung des Fahrbahngrips nennt sich Reibbeiwert. Der fällt je nach Straßenbelag und individueller Fahrbahnbeschaffenheit unterschiedlich hoch aus. Während trockener (und sauberer) Asphalt auf Landstraßen eine Griffigkeit von etwa µ = 0,9 besitzt, sinkt der Wert bei glattem Asphalt schon auf µ = 0,7, bei Kopfsteinpflaster auf µ = 0,5. Bei Schmutz oder Nässe auf den Fahrbahnen sinken alle Werte nochmals deutlich. Je geringer der Reibbeiwert ausfällt, desto kleiner ist die Kraft, die Motorradreifen beim Beschleunigen oder Bremsen übertragen können (Traktion).